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Full text of "Das erste Auftreten der Syphilia (Lustseuche) in der europäischen Kulturwelt. : Gewürdigt in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, dargestellt nach Anfang, Verlauf und voraussichtlichem Ende"

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RC201,6 ""'IVA/I 

A1B55 

1901* 


STANFORD 
LIBRARIES 


)as erste Auftreten der Syphilis 

(Lustseuche) 

, in der europäischen Kulturwelt. 


Qewürdigt in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, dar- 
tstellt nach Anfang, Verlauf und voraussichtlichem Ende. 


Vortrag 

gehallen in der Slaatswissenschaftllchen Vereinigung zu Berlin 
am 12. November 1Q03 


Dr. med. Iwan Bloch 


Arzl in Berlin. 


\m^^j 


Verlag von Gustav Fischer in Jena. 

1004. 



.NI-TK'' 


; Auftreten der Syphifis 

4 Lusiseiidie> 
■ avopäisdhen Kutturwelt. 


äer wdtgescbichdjdien B«ll»ituiig, dar* 
b rt«f Bil^ Vabai mui vonuisstcildidtein {Tntit;. 


Vortrag 

rSla&wi$s«ii5chaftl>di«n VcrantguUK <u BerHit 
«R li November 1903 


iDr. med. Iwan Bloch 

Am in 6«r<in. 


; von Ouslav Fischer in Ji'ii;i. 
igoj 


VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA. 

Der Urspruna der Sypbilis« ShS'Ztrl^^X 

Dr. med. Iwan Bloch in BerKn. Erste Abteilung. 1901. Preis: 6 Mark. 

Urteile der Presse über dieses Werk. 

Wiener Medizinische Wochenschrift Nr. 21, 1902: 

Das vorliegende Werk des jungen Berliner Syphilidologen rechtfertigt die 
Spannung, mit der man in eingeweihten Kreisen dem Ergebnis seiner sorgsamen und 
mühevollen Studien entgegenblickte, in ganz ungewöhnlichem Ausmaße I Das Buch 
bedeutet für die Fachwelt ein Ereignis und wird wie kaum ein anderes den Sinn für 
medizinisch-historische Literatur in weite ICreise tragen. Man braucht nur wenige 
Seiten zu lesen und fühlt sich so sehr gefesselt durch das begeisternde Pathos eines wirk- 
lichen Wahrheitsforschers, durch die packende Kraft fast künstlerischer Darstelluags- 
gäbe, durch den Reichtum weitblickender Gedanken, dass man sich von dem Buche 
nicht trennen kann, bevor es zu Ende gelesen ist. Und was mehr ist, es zeigt durch 
den überquellenden Schatz seines positiven Inhaltes, dass man sehr gelehrt, sehr gründ- 
lich sein kann, ohne ledern werden zu müssen, daß man ein engumschriebenes Thema 
bis in die tiefsten Tiefen zu erschöpfen vermag, ohne den Blick fürs ganze einzu- 
büßen, In diesem Buche spricht ein wirklicher Historiker zum Leser, nicht bloss ein 
Archivar I Auf breiter kulturgeschichtlicher Basis, mit Berücksichtigung aller möglichen, 
scheinbar weitabliegenden Momente , mit der Gabe des Sehers , der das Ineinander- 
weben aller Faktoren einer Zeitperiode überblickt, wird die alte Streitfrage behandelt, 
ob die Lustseuche bei allen Völkern seit den ältesten Zeiten verbreitet war oder für 
die alte Welt eine neue, aus Amerika erst eingeschleppte Krankheit bedeutet. Der 
Verfasser gelangte auf Grund der Ueberprüfung der von den Vertretern der ,, Alter- 
tumssyphilis** aufgestapelten Dokumente und durch Heranziehung neuer oder wenig be- 
rücksichtigter Quellen zum Schlüsse, daß die Verteidiger des amerikanischen Ursprungs 
der Syphilis, zu denen derzeit bekanntlich Binz, Liebermeister, Seier und Unna 
zählen, im Rechte sind. Niemals wurde soviel Material zusammengetragen! In dem 
eben erschienenen ersten Teile bemüht sich Bloch, alle urkundlichen Argumente der 
Gegner zu entkräften, was ihm oft schlagend gelingt. Der zweite, hoffentlich bald 
erscheinende Teil des Werkes soll die üblichen Deutungen von Krankheitsschilderungen 
der Alten als Lues kritisch beleuchten. Auf Einzelheilen hier einzugehen , würde zu 
weit führen, ohne daß es gelänge, den schwächsten Abglanz der erstaunlichen Leistung 
des ganz imgewöhnlich belesenen Autors zu gehen. An diesem Buche kann kein 
Denkender achtlos vorüber gehen, man muß es vom Anfang bis zum Ende lesen, ne'm, 
studieren 1 Wir bezweifeln es, daß der Verfasser die uns längst so tief ins Bewußtsein ge- 
grabene Meinung vom Bestand der Lues im Altertum so rasch, wie er hofft, überwinden wird, 
zumal dieselbe ohne jedes Studium a priori dem gesunden Menschenverstand viel näher 
liegt, aber wir glauben mit Bestimmtheit, daß die bisherigen Argumente in den 
Grundfesten erschüttert sind. Der Kampf, den Bloch mit dem frischen 
Wagemut der Jugend heraufbeschworen hat, wird kein leichter sein, denn Uebgewordene 
Ueberzeugungen, für die mancher ein Stück seiner Lebensarbeit geopfert hat, gibt man 
nicht ohne höchstes Widerstreben auf. Es ist jetzt Sache der Verteidiger der Alter- 
tumssyphilis , zu beweisen , ob der Verfasser im Unrecht ist, hoffentlich stehen ihnen 
Waffen zur Verfügung, denn der Hinweis auf die Jugendlichkeit des verwegenen 
Ketzers allein wird nicht genügen. Wir leben nicht im Zeitalter des Autoritätsglaubens. 

(Neuburger.) 

Archiv für Kulturgeschichte, 1903, Bd. I, Heft 4: 

. . . Man kann es dem Verfasser nicht absprechen, daß er mit großer Sach- 
kenntnis und einer unbestechlichen Kritik an seine Aufgabe gegangen ist und daß er — 
wie es zu fordern ist — neben dem Eingehen auf Details immer den Blick auf das 
Ganze der Zeit gerichtet hat. Die Methodik seiner Forschung erscheint einwandsfrei 
und seine Behauptungen sind bewiesei* ... (E. Heinrich.) 

Fortsetzung auf Seite 3 des Umschlags^ 


Das erste Auftreten der Syphilis 

(Lustseuche) 
in der europäischen Kulturwelt. 


Gewürdigt in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, dar- 
gestellt nach Anfang, Verlauf und voraussichtlichem Ende. 


Vortrag 


gehalten in der Staatswissenschaftlichen Vereinigung zu Berlin 
am 12. November IQ03 


Dr. med. Iwan Bloch 

Arzt in Berlin. / 


Verlag von Gustav Fischer in Jena 
1904. 


VEKLÄG VON GUSTAV PISCHBE I» JENA. 


Hfr rirsnriitin Hit f^vDhilis. 




Alle Rechte yorbehalten. 


Vorwort. 


Auf den folgenden Blättern ist versucht worden, in allge- 
meinverständlicher Weise die Geschichte der Syphilis als einer 
spezifischen Krankheit der Neuzeit zu schildern, die eben- 
so der modernen Zivilisation ihr Gepräge aufdrückt wie der Aus- 
satz der mittelalterlichen Epoche. Kurz und klar hoffe ich das 
große Jahrhundertdrama der Syphilis vor aller Augen gestellt und 
in seiner Bedeutung gewürdigt zu haben. Der Vortrag gründet 
sich durchweg auf die Ergebnisse, die ich im ersten Bande meines 
größeren Werkes „Der Ursprung der Syphilis**, eine medizinische 
und kulturgeschichtliche Untersuchung (Jena, Verlag von Gustav 
Fischer, 1901) niedergelegt habe, wo also der sich dafür Inter- 
essierende die ausführliche kritische und quellenmäßig belegte 
Darstellung der hier nur kurz entwickelten Ideen findet. Bei der 
willkommenen und segensreichen Teilnahme auch des nichtärzt- 
lichen, gebildeten Publikums an den durch die große Verbreitung 
der venerischen Krankheiten Jedem nahegelegten Fragen, welche 
Teilnahme ja bei der Bildung der „Deutschen Gesellschaft zur 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" in so erfreulicher Weise 
zum Ausdrucke kam, dürfte auch die Veröffentlichung des folgen- 
den in der hiesigen „Staatswissenschaftlichen Vereinigung" ge- 
haltenen Vortrages weitere Kreise interessieren. 

Berlin, den 16. November 1903. 

Dr. Iwan Bloch. 


lLs bedarf wohl in unserer Zeit, wo sich innerhalb der Heil- 
kunde ein eigenes, den Beziehungen zwischen Gesellschaft und 
Medizin gewidmetes Gebiet unter dem Namen der sogenannten 
„sozialen Medizin" abgegliedert hat, kaum' einer näheren Be- 
gründung und Rechtfertigung, weshalb ich in diesem Kreise das 
angekündigte Thema zum Gegenstand eines Vortrages mache. 
Um zu beweisen, wie sehr die Krankheiten ein staatswissenschaft- 
liches Interesse beanspruchen können, wie nahe sie große und 
bedeutungsvolle Probleme des Völkerlebens berühren, ist es nicht 
nötig, in allgemeiner Weise etwa auf die metaphysische Bedeutung 
derselben im menschlichen Leben zurückzugreifen und daraus 
etwa wie Schopenhauer den Hauptbeweis für eine pessimistische 
Auffassung des Daseins abzuleiten oder im entgegengesetzten 
Sinne mit Nietzsche eine positive Förderung der individuellen 
und sozialen Entwickelung zu entnehmen, sondern man braucht 
nur die von Paracelsus zuerst scharf formulierte Erkenntnis ins 
rechte Licht zu setzen, daß Krankheit nur eine andere Form 
des Lebens ist, ein Leben unter veränderten, abnormen Be- 
dingungen, welches nicht wie etwas ganz Heterogenes dem „ge- 
sunden" Leben gegenübertritt, sondern zuletzt durch eine fast 
unmerkbare Grenzlinie mit diesem sich berührt und zusammen- 
hängt. Man hat in diesem Sinne die Krankheit treffend die 
Außenlinie der Gesundheit genannt 

Bei einer solchen rein biologischen Auflassung der Krank- 
heiten, wie sie in den letzten hundert Jahren vor allem durch 


— 6 — 

John Hunter mit seiner großartigen Idee einer „Wissenschaft 
des Abnormen", einer induktiven Erforschung der Bedeutung der 
Krankheiten im großen Ganzen der Natur, sowie durch Virchows 
Zellularpathologie begründet worden ist, stellen sich die Krank- 
heiten als innig verschlungen mit allen Gestaltungen und Äuße- 
rungen des Lebens dar. Die großen Gesetze dieses Lebens gelten 
auch für sie. Wir wissen längst, daß der Traum des Hesiod in den 
„Werken und Tagen" von einer Zeit, wo es keinerlei Krankheit 
gab, ebensowenig zutrifft, wie jene andere ebenfalls geäußerte 
Vorstellung, daß vor dem Sündenfall die Erde ohne Giftpflanzen, 
die Rose ohne Dornen und der Mensch ein so ideales Wesen, 
als welches er z. B. in den mystischen Visionen der Bourignon 
erscheint, gewesen sei. Schon die ältesten Gemeinschaften des Men- 
schen haben Krankheiten verschiedener Art erduldet, wie die an den 
prähistorischen Knochenfunden festgestellten pathologischen Ver- 
änderungen deutlich beweisen. Aber wie das Leben, so muß auch 
die Krankheit einen Anfang gehabt haben. Auch die Krank- 
heiten haben ihre Entwicklung, die bestimmten Gesetzen unter- 
liegt, wenn wir auch häufig nicht imstande sind, eine exakte Dar- 
stellung und Ursachenlehre derselben zu geben. 

Insbesondere gilt dies für die großen Volkskrankheiten, 
für die sich stets eine zeitliche und örtliche Entstehung nach- 
weisen läßt, die mit dem kulturellen und sozialen Leben der je- 
weiligen Epoche innig zusammenhängt und ihrerseits auf das 
letztere erheblichen Einfluß zu gewinnen imstande ist. Wie die 
politischen und wirtschaftlichen Katastrophen können auch die 
großen Volksseuchen eine eingreifende Bedeutung für den Zu- 
stand der Gesellschaft erlangen, und das um so mehr, als sie oft 
nicht, wie jene ersteren, lokal beschränkt wird, sondern rasch über 
große Teile der Erde sich ausbreiten. Mit gutem Recht sagt 
Lamm er t in seiner „Geschichte der Seuchen zur Zeit des dreißig- 
jährigen Krieges**: „Die Annalen der Leiden eines Volkes sind 
mit denen seiner Kulturgeschichte innig verwoben; was uns in 
jenen berichtet wird, das hängt eng zusammen mit den wechseln- 
den Gestaltungen des politischen und sozialen Lebens. Mit der 


— 7 — 

Geschichte der Volkskrankheiten finden wir einen gar inhaltr 
schweren, interessanten Band der großen allgemeinen Weltge- 
schichte aufgeschlagen, dessen Bedeutung und Tragweite im all- 
gemeinen mehr Beachtung und Würdigung verdient" 

Wohl keine Krankheit bestätigt in Hinsicht auf ihre Ge- 
schichte die Richtigkeit dieses Ausspruches in reicherem Maße 
als die Syphilis oder die Lustseuche, da ihr Anfang, ihre Aus- 
breitung und hoffentlich auch ihr Ende deutlich vor aller Augen 
liegen, da sie eine echte Krankheit der Neuzeit, der modernen 
europäischen Kultur ist, in welch letztere sie vor vierhundert 
Jahren plötzlich vernichtend hereinbrach. Die Syphilis hat für 
die europäische Kulturwelt einen Anfang, Voltaires ironisches 
Wort im „Candide" von einer wissenschaftlich erforschbaren 
„Genealogie** der Lustseuche ist Wahrheit. Alle Vorbedingungen 
sind gegeben, um dieses am Ende des 15. Jahrhunderts, an der 
Schwelle der Neuzeit, plötzlich auftauchende Phänomen historisch 
zu erfassen und es in seinen Wirkungen auf die europäische 
Kultur bis auf den heutigen Tag zu verfolgen. Setzt man jedes 
Jahrhundert gleich dem Akte eines Dramas, so sind von diesem 
Drama vier Akte gespielt worden. Wir befinden uns im Anfang 
des fünften, hoffentlich des letzten, was keineswegs, wie wir sehen 
iverden, ein Utopie zu sein braucht. 

Es sind über das Erscheinen der Syphilis in der alten Welt, 
über ihre Herkunft, ihr angebliches Altertum, ihre Wesenseinheit 
mit anderen Krankheiten, z. B. dem Aussatz, ganze Bibliotheken 
geschrieben, die absurdesten Hypothesen und Theorien aufge- 
stellt worden. Der Geschichtsforscher muß sich durch einen 
wahren Wust von Irrtümern, abergläubischen Ideen, phantastischen 
Vorstellungen und leider auch bewußten Fälschungen hindurch- 
arbeiten, um zu der hinter diesem Gestrüpp verborgenen, sehr 
einfachen und einleuchtenden Wahrheit zu gelangen. Diese zu 
finden, war sehr leicht. Es ist eigentlich das Ei des Columbus. 
Aber den höchsten Scharfsinn, der beinahe an die Romane des 
Edgar Allan Poe erinnert, die genialsten und tollsten Einfälle 
hat man an die Verdunkelung dieser Wahrheit verschwendet. 


— 8 — 

Die Geschichtsschreibung der Syphilis stellt eine zusammenhängende 
Kette menschlicher Irrtümer und menschlichen Aberglaubens dar. 
Mit diesen gründlich aufzuräumen, heißt zugleich die zwei be- 
rühmten Fragen Ricords: Wo hat die Syphilis angefangen? 
Durch wen hat sie angefangen? endgültig beantworten. 

Ich will an dieser Stelle diese Irrtümer und Fälschungen in der 
Geschichtsschreibung der Syphilis nicht weiter berühren, habe dies 
sehr ausführlich in meinem Werke über den „Ursprung der Syphilis*' 
(bei Gustav Fischer in Jena) getan und erwähne nur kurz, daß 
man die Syphilis als eine Folge der Sünde oder der Sodomie, 
oder des Einflusses der Gestirne betrachtet hat, daß man sich, wie 
z. B. Bodmann, nicht gescheut hat, zur Fälschung von Jahres- 
zahlen zu greifen, um die Existenz der Syphilis vor dem Jahre 

1493 zu erweisen. Auch der angebliche Zusammenhang mit dem 
mittelalterlichen Aussatz ist von mir als völlig ausgeschlossen 
nachgewiesen worden. 

Nach Widerlegung aller dieser und anderer Irrtümer und 
Fälschungen bleibt nur eine unbezweifelbare Tatsache übrig. 
Das ist das plötzliche, die ganze europäische Welt in Schrecken 
versetzende Auftreten der Syphilis in Italien, während des Feld- 
zuges, den Karl VIII., König von Frankreich, in den Jahren 

1494 und 1495, in Italien gegen das Königreich Neapel unter- 
nahm. Die kulturgeschichtliche Bedeutung dieses Zuges, der 
Frankreich in die innigste Berührung mit der Welt der Renais- 
sance brachte, ist von Leopold von Ranke, Gregorovius, 
Müntz und anderen Geschichtsschreibern dieser Zeit ausführlich 
gewürdigt worden, und ich brauche hier nicht näher darauf ein- 
zugehen. 

Uns interessiert an dieser Stelle am meisten, daß mitten in 
den Herrlichkeiten des sinnenfrohen italienischen Lebens, das in 
so vielen Beziehungen noch an die Antike gemahnte, unter der 
Armee Karls VIII. sich plötzlich eine neue fürchterliche, vorher 
nie gesehene Krankheit verbreitete, die von den geheimen Teilen 
ausgehend schnell den übrigen Körper befiel und in schrecken- 
erregender Weise verunstaltete, ein Übel, das Ärzten und Laien 



unbekannt, seinen Ursprung scheinbar jenem Zuge verdankt: die 
Franzosenkrankheit, die bis in unsere Zeit dauernde Folge des 
Zuges Karls VIII. nach Italien. 

Die Einzelheiten dieser kriegerischen Unternehmung können 
hier nicht näher besprochen werden. Nur so viel sei bemerkt, 
daß sich das Heer des französischen Königs, etwa 32000 Mann, 
aus Söldnern der verschiedenartigsten Völkerstämme zusammen- 
setzte, darunter 6000 Schweizer, 10 000 Nordfranzosen und Nieder- 
länder, 5000 Gascogner und Bewohner der pyrenäischen Pro- 
vinzen. Auch zahlreiche Spanier waren in diesem Heere, 
welcher Umstand besonders wichtig ist Endlich begleitete den 
Zug nach der Sitte oder vielmehr Unsitte der Zeit ein Troß von 
800 Weibern, darunter 500 Prostituierte niedersten Ranges. 

Mit diesem Heere überschritt König Karl VIII. am i. Sep- 
tember 1494 die italienische Grenze. Bereits am 8. September 
bestand eine Abteilung desselben unter dem Herzog von Orleans 
ein heftiges Treffen mit dem aus 3000 Neapolitanern und Spaniern 
zusammengesetzten feindlichen Heere bei Rapallo, in der Nähe 
von Genua. Nach siegreicher Abwehrung des Feindes konnte 
der Zug durch Italien ungehindert fortgesetzt werden, wobei es 
zu einem höchst intimen Verkehre der französischen Söldner mit 
den inländischen Frauen und Freudenmädchen kam, wie sich 
beinahe für jede Stadt aus den gleichzeitigen Berichten nachweisen 
läßt Am 17. November 1494 erfolgte der Einzug in Florenz 
und am letzten Tage dieses Jahres betrat die französische Armee 
die ewige Stadt. Karl verweilte volle vier Wochen in Rom, 
wo alsbald seine Soldaten sich den gröbsten Ausschweifungen 
ergaben. Damals wimmelte Rom von Prostituierten, in- und aus- 
ländischen. Besonders die spanischen Courtisanen wählten Rom 
unter der Herrschaft des berüchtigten Alexander VI. als Schau- 
platz ihrer Tätigkeit Wenig später zählte der spanische Schrift- 
steller Delicado gegen 14000 spanische Prostituierte in Rom. 

Von Rom brach König Karl endlich am 28. Januar 1495 
nach Neapel auf und zog am 22. Februar, 4 Uhr nachmittags, 
durch die Porta Capuana in Neapel ein, wo ein überaus be- 


— lO — 


geisterter Empfang, namentlich von selten der weiblichen Be- 
völkerung, den Soldaten zuteil wurde, die sich schon am ersten 
Tage nach dem Berichte der Chroniken in Trinkgelagen und 
venerischen Exzessen nicht genug tun konnten. So wie dieser 
erste Tag verliefen alle achtzig folgenden, die Karl VIII. mit 
seinem Heere in Neapel zubrachte, in einem beständigen Rausche 
sinnlicher Genüsse der verschiedensten Art. Für diesen neapoli- 
tanischen Aufenthalt ist auch noch die Tatsache wichtig, daß die 
spanische Besatzung der Vorstadt Castelnuovo nach dreiwöchent- 
licher Belagerung sich ergab und zum Teil mit dem Heere 
Karls VIII. sich vereinigte. 

Ende Mai 1495 jedoch mußte Karl beim Herannahen einer 
spanischen Armee unter Gonsalvo de Cordoba Neapel ver- 
lassen, wo er 6000 Mann unter d'Aubigny zurückließ. Er zog 
sich über Siena und Pisa zurück, erzwang sich in der Schlacht 
bei Fornuovo am 6. Juli 1495 S^S^^ ^'^ Venetianer den weiteren 
Durchmarsch, während zu gleicher Zeit die Spanier Neapel wieder 
eroberten und König Ferdinand ein kleines Armeekorps in die 
pyrenäischen Provinzen Frankreichs sandte. Karl hielt sich dann 
von Ende Juli bis Oktober 1495 in Turin auf, wohin auch die 
in Neapel zurückgebliebenen Schweizer kamen, und war dann am 
7. November wieder in Lyon. Der größte Teil seiner Truppen 
hatte sich schon beim Verlassen Italiens nach allen Richtungen 
hin zerstreut. 


Diese äußeren, hier nur ganz kurz skizzierten Verhältnisse, 
unter welchen der berühmte Zug Karls VIII. verlief, mußten 
in ganz besonderem Maße die schnelle Verbreitung einer wesent- 
lich auf dem geschlechtlichen Wege erworbenen Krankheit be- 
günstigen. Es ist deshalb kein bloßer Zufall, daß gerade während 
des Aufenthaltes des französischen Heeres die Syphilis zuerst 
jene erschreckliche Verbreitung in einem explosionsartigen Aus- 


— II — 

bruch erlangte, welcher die Welt so plötzlich überraschte. Mehrere 
Söldnerheere von bedeutender Stärke versammeln sich in Itahen 
und treten miteinander in Berührung. Sie werden gebildet von 
einer zuchtlosen Soldateska aus aller Herren Ländern» die, begleitet 
von einem ungeheuren Troß von Lustmädchen, sich den wildesten 
sinnlichen Ausschweifungen ergibt. Es findet ein beständiger 
Austausch von Überläufern männlichen und weiblichen Greschlechts 
zwischen den verschiedenen Armeen statt, und schließlich zer- 
streuen sich die Soldaten des französischen Heeres nach allen 
Seiten Daß unter diesen Umständen eine Krankheit wie die 
Syiphlis binnen kurzer Zeit eine die Welt mit Schrecken erfüllende 
Verbreitung erlangen mußte, liegt auf der Hand. 

Und es kann nun, um endlich zum eigentlichen Thema zu 
kommen, gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die Syphilis 
sich der europäischen Welt zuerst bemerkbar machte, als die 
Franzosen unter Karl VIIL sich in Italien aufhielten. 
Diese allgemeine Zeitbestimmung des ersten Auftretens der 
Syphilis in epidemischer Verbreitung wird von den gleichzeitigen 
Chronisten und ärztlichen Schriftstellern der verschiedensten Länder 
übereinstimmend angegeben. Und zwar geschah dieses nach 
dem Bericht der großen Mehrzahl der Zeitgenossen während des 
Aufenthaltes der französischen Armee in Neapel, also zwischen 
Februar und Mai 1495. Wie ich in einer ausführlichen kritischen 
Untersuchung nachgewiesen habe, stimmen die zeitgenössischen 
Berichte darin überein, daß sie eine Einschleppung der Krank- 
heit von außen her als ganz gewiß hinstellen und diese deutlich 
den Spaniern zur Last legen. Es läßt sich dann an der Hand 
der italienischen Städtechroniken der Siegeszug der Syphilis in 
Italien von Stadt zu Stadt verfolgen, überall werden die bekannten 
Jahreszahlen 1495 bezw. 1496 angegeben. Schon im Juni 1495 
war sie bis in den nördlichsten Teil der apenninischen Halbinsel, 
bis an den Fuß der Alpen, an die Grenzen Frankreichs, der 
Schweiz und Deutschlands vorgedrungen! 

Diese Nachrichten über das erste Auftreten der Lustseuche 
in Italien sind um so bedeutungsvoller, als sie durchgängig von 


12 


Zeitgenossen herrühren, die das plötzliche Hereinbrechen des Un- 
heils miterlebten und gewiß zum Teil am eigenen Leibe spüren 
mußten. Laien und Ärzte sind einig darüber, daß die Krankheit 
bis dahin in Italien völlig unbekannt war — das berühmte, oft 
zitierte Wort des genuesischen Arztes Cataneus von dem 
„morbus monstrosus, nulHs ante saeculis visus totoque 
in orbe terrarum incognitus" klingt überall wieder — alle 
nahmen ferner an, daß das Leiden von auswärts eingeschleppt 
worden sei. Eben wegen dieses geheimnisvollen plötzlichen Auf- 
tauchens ufid ihrer unbekannten Natur machte die Krankheit 
überall einen tiefen Eindruck und war den Menschen ein Grauen, 
und es ist ein vergebliches Unternehmen moderner Syphilis- 
historiker, dieses Grauen, das uns aus allen gleichzeitigen Berichten, 
aus Briefen, öflFentlichen Urkunden, Reden und sonstigen Doku- 
menten so tiefklagend, so herzergreifend entgegenklingt, hinweg- 
disputieren zu wollen. Einst begann Hensler, obgleich fest über- 
zeugt von dem Altertume der S)rphilis, sein berühmtes Werk über 
die Geschichte der Lustseuche mit den Worten: „Es sind manche 
Seuchen für das Menschengeschlecht um vieles verwüstender und 
mördlicher gewesen als die Lustseuche, die zu Ende des XV 
Jahrhunderts ausbrach; aber keine von jeher und ohne Ausnahme, 
keine bösartige Seuche, keine Pest, kein schwarzer Tod hat einen 
so fürchterlichen Eindruck gemacht, keine ein solches Grauen in 
den Gemütern der Nachwelt hinterlassen.** 

Dieses Grauen entsprang nicht nur aus der völligen Unkenntnis 
der neuen Krankheit, sondern mehr noch aus dem Schrecken, wel- 
chen die Heftigkeit und Bösartigkeit der Erscheinungen der 
Syphilis überall verbreiteten. Alle zeitgenössischen Schriftsteller 
der verschiedensten Nationen schildern uns die Krankheit in den 
düstersten Farben. Diese Malignität der Lustseuche kann nach 
unserer modernen Anschauungsweise über die Natur und Er- 
scheinungsart der Krankheit nur dciraus erklärt werden, daß jene 
Völker, die alle in gleich intensiver Weise ergriflFen wurden, bis 
dahin vollkommen syphilisfrei gewesen waren. Wie will man 
die damals beobachteten heftigen Krankheitserscheinungen, das 


— 13 — 

frühe Auftreten der sogenannten sekundären Symptome — oft 
schon nach wenigen Tagen — , das hohe Fieber, die Intensität, 
der Schmerzen, besonders der unerträglichen Gelenkschmerzen, 
die schwere sekundäre Affektion der Haut (die sogenannten 
„syphilit Pocken**), den oft so schnell eintretenden körperlichen 
Verfall und endlich die unzweifelhafte Häufigkeit der Todesfälle 
anders erklären? Wie hätte eine angeblich uralte Plage des 
Menschengeschlechts plötzlich mit so gesteigerter Intensität über 
so zahlreiche Völker hereinbrechen können? Auch handelte es 
sich nicht um eine auf bestimmte Kreise beschränkte Seuche, für 
die man etwa besondere Ursachen hätte verantwortlich machen 
können, sondern die am Ende des 15. Jahrhunderts auftauchende 
Syphilis befiel alle Volkskreise und alle Nationen in gleichem 
Maße und mit derselben Heftigkeit. Noch heute beobachten wir 
überall, wo die Syphilis in bisher syphilisfreie Gegenden ein- 
g'eschleppt wird, denselben akuten Verlauf, dieselbe Intensität der 
Erscheinungen wie bei ihrem ersten Auftreten in Europa. 

Daß damals die neue Seuche gleichmäßig alle Schichten der 
Bevölkerung, alle Stände mitnahm, wird in allen zeitgenössischen 
Nachrichten gemeldet. Z. B. sagt der Chronist Franciscus 
Muraltus: „Da die Krankheit unbekannt war und in alten 
Werken nicht beschrieben gefunden wurde, da weder von 
Hippokrates, Avicenna und Galen Heilmittel für dieselbe 
angegeben waren, noch sie diese Krankheit erwähnen, so tötete 
dieselbe Unzählige. Die Arzte unserer Zeit wendeten nach Gut- 
dünken Heilmittel an, und Päpste, Könige, Fürsten, Mark- 
grafen , Feldherren, Soldaten, alle Edelleute, Kaufleute, 
endlich alle, die überhaupt der Wollust fröhnten, Geistliche 
aller Art wurden von jener Krankheit heimgesucht, wodurch 
man die keuschen Menschen von den unkeuschen unterscheiden 
konnte." 

Es befiel aber die Syphilis nicht nur einzelne, sondern viele 
Menschen. Pollich spricht schon 1499 von vielen Tausenden 
geheilter Kranker. Bei allen Völkern der alten Welt wiederholte 
sich die gleiche schnelle Ausbreitung der neuen Seuche unter 


— 14 — 

denselben heftigen Krankheitserscheinungen. Es wird diese un- 
gewöhnliche Intensität der einzelnen Symptome von so vielen 
Ärzten und Chronisten aller Länder hervorgehoben, daß es doch 
nicht angeht, dieselbe zu bezweifeln, ohne anzunehmen, daß alle 
zeitgenössischen Autoren in gleicher Weise übertrieben haben. 
Kein Zeichen, kein Wort, keine Feder war imstande, die Leiden 
der von der neuen Krankheit Ergriffenen zu schildern, wie 
Summaripa, ein italienischer Arzt, sagt. 

Der erste deutsche Schriftsteller, welcher ausführlich über 
die Syphilis berichtet, Grunpeck, hat uns eine klassische 
Schilderung des grauenhaften Zustandes der Soldaten, die in 
Italien an der Syphilis erkrankt waren, hinterlassen. Diese teile 
ich, zugleich als Paradigma für alle übrigen ähnlichen Schilde- 
rungen, mit: 

„Die Einen, sagt er, waren vom Scheitel bis zu den Knieen 
mit einer zusammenhängenden, fürchterlichen schwarzen Art von 
Krätze überzogen und dadurch so abschreckend, daß sie, von 
allen Kameraden verlassen, sich in der Einsamkeit den Tod 
wünschten; die anderen hatten diese Krätze an einzelnen Stellen, 
aber härter als Baumrinde, am Vorder- und Hinterkopfe, an der 
Stirne, dem Halse, der Brust, dem Gesäße, und zerrissen sich 
dieselbe vor heftigem Schmerze mit den Nägeln. Die Übrigen 
starrten an allen Körperteilen von einer solchen Menge von 
Warzen und Pusteln, daß ihre Zahl nicht zu bestimmen war; sehr 
vielen aber wuchsen im Gesichte, an den Ohren und der Nase 
dicke und rauhe Pusteln, wie Zapfen oder kleine Hörner in die 
Höhe, die mit pestilenzialischem Gestanke aufbrachen und hervor- 
stehenden Hauern glichen." 

Zahlreiche ähnliche Leidensgeschichten finden sich bei allen 
zeitgenössischen Schriftstellern. Ich erinnere nur an das Martyrium 
des Ulrich von Hütten. „Des Jammerns und des Winseins 
war damals kein Ende" sagt selbst Hensler, der die damaligen 
Erscheinungen des Syphilis ebenfalls in grellen Farben schildert. 


— 15 — 

Wir sind nach Einsicht in diese Tatsachen mit unabweislicher 
Notwendigkeit jetzt vor die Frage geführt: Wie erklärt sich das 
plötzliche Auftauchen der Syphilis in Italien? Auf welchem Wege 
kam die Seuche dorthin ? Diese Fragen involvieren diejenige nach 
dem eigentlichen Ursprünge, nach der ältesten Heimat der 
Syphilis. 

Schon die Zeitgenossen haben den wirklichen Ursprung der 
Syphilis gekannt. Es kommen hier vor allem zwei Quellen in 
Betracht, erstens die Berichte spanischer Autoren, die durch die 
Forschungen des spanischen Militärarztes Montejo und des hiesigen 
Amerikanisten Herrn Prof. Sei er zuerst genauer bekannt gewor- 
den sind — zweitens die Mitteilungen italienischer Chronisten, 
deren Bedeutung ich in einer quellenkritischen Untersuchung ge- 
würdigt habe. Beide Quellen ergänzen sich, wie ich gezeigt habe, 
in einer die ganze Frage endgültig entscheidenden Weise. 

Unter den authentischen Berichten der spanischen Autoren 
sind als die wichtigsten diejenigen des Diaz de Isla, Oviedo, 
Las Casas, Roman Pane, Sahagun und Hernandez zu 
nennen. 

Ruy Diaz de Isla (geboren 1462, gestorben nach 1542) ist 
wohl der allerwichtigste Zeuge überhaupt für den neueren Ursprung 
der Syphilis. Er hatte beim ersten Auftreten der Syphilis in 
Europa bereits das dreißigste Lebensjahr überschritten, war Arzt 
und zwar ein hervorragender Arzt, und endlich — was die Haupt- 
sache ist — selbst Zeuge der Einschleppung der Syphilis, die er 
gewissermaßen bei ilurer Landung in Europa beobachtete. 

Wir wissen, daß Diaz de Isla im Jahre 1493 in Barcelona, 
später in Sevilla praktisch tätig war und zehn Jahre lang als 
Chirurg am Allerheiligenspital in Lissabon wirkte, wo er sehr 
reiche Erfahrungen über die Syphilis sammelte und sie in einem 
besonderen Werke niederlegte, das er dem Könige Manuel von 
Portugal widmete. Die älteste Niederschrift dieses Buches be- 
findet sich in der Nationalbibliothek zu Madrid. Im ersten Kapitel 
desselben wird der Ursprung und die Einschleppung der Syphilis 
ausführlich dargestellt Dieser Bericht gibt selbsterlebte und 


— i6 — 

selbstbeobachtete Tatsachen wieder, und erhellt mit einem 
Schlajare das Dunkel, welches über dem Ursprünge der Syphilis ruht. 

Der Inhalt dieses Berichtes ist in Kürze der folgende: Die 
Syphilis war vor 1493 in Europa unbekannt. Ihre Urheimat ist 
Amerika, d. h. für Europa eigentlich nur die Insel Espafiola oder 
Haiti, von wo die Mannschaft des Columbus sie nach der ersten 
Reise desselben mitbrachte. Daher nennt Diaz de Isla die 
Syphilis die Krankheit der Insel Espanola. Bei den Indianern 
von Haiti hieß die Syphilis Guaynaras oder auch ,Jiipas", 
„taybas" und „i^as". Der größte Teil der Mannschaft des 
Columbus infizierte sich dort mit der Syphilis und kehrte krank 
nach Spanien zurück. Diaz de Isla behandelte selbst in Barce- 
lona mehrere syphilitische Matrosen dieses Geschwaders und er- 
wähnt u. a. den Steuermann Pinzon aus Palos als einen der an 
dem neuen Übel Erkrankten. Die Krankheit war den Matrosen 
völlig unbekannt. Nach Ankunft des Columbus in Barcelona im 
Jahre 1493 breitete sich dort die Syphilis auch unter den Ein- 
wohnern aus, noch während Ferdinand der Katholische und 
Isabella dort anwesend waren. Im folgenden Jahre traf Karl VIII. 
von Frankreich die Vorbereitungen zu einem großen Feldzuge 
und zog Söldner aus den benachbarten Ländern heran. Darunter 
befanden sich auch viele mit Syphilis behaftete Spanier. 
So geschah es, daß die Syphilis sich während des Aufenthaltes 
des französischen Heeres in Italien weiter verbreitete und schließ- 
lich bei dem Zusammenwirken so vieler eine epidemische Ver- 
breitung begünstigender Umstände jene plötzliche und ungeheure 
Ausbreitung erlangte, wie wir sie kennen gelernt haben. 

Auf Espanola herrschte die Syphilis seit uralter Zeit. Die 
Indianer besaßen schon bei der Ankunft des Columbus eine 
höchst komplizierte, rationell ausgebildete und abgestufte Heil- 
methode der Krankheit, deren Inhalt Diaz de Isla im Jahre 1504 
aus einer Niederschrift derselben kennen lernte. Sie bestand im 
wesentlichen aus einer Kur mit dem Guajak, dem Mapuan 
und der Tun a in Verbindung mit hydrotherapeutischen, diätetischen 
und klimatischen Behandlungsmethoden. 


— 17 — 

Dieser Bericht des Diaz de Isla wird vollauf bestätigt 
durch die Mitteilungen des Oviedo und des Las Casas. 

Oviedo, ein vornehmer Hofmann und einer voii den in dieser 
Zeit häufig vorkommenden Gelehrten, die bereits in früher Jugend 
eine vielseitige Bildung sich angeeignet hatten, befand sich eben- 
falls zur Zeit der Rückkehr des Columbus im Jahre 1493 in 
Barcelona, schloß damals Freundschaft mit den Söhnen des Ent- 
deckers und zog von diesem selbst und den Gebrüdern Pinzon 
sehr wertv^oUe Nachrichten über den neuen Erdteil ein. Später 
verweilte er kurz nach dem Feldzuge Karls VIII. längere Zeit 
in Italien und war dann zu wiederholten Malen jahrelang selbst 
in der neuen Welt in Haiti und Zentralamerika. Seine Nachrichten 
über die Syphilis finden sich vor allem in seiner großen Geschichte 
und Naturgeschichte Westindiens und in einem Berichte, den er 
im Jahre 1525 auf Befehl des Kaisers Karl V. verfaßte. Es er- 
gibt sich aus diesen von mir wörtlich übersetzten Berichten die 
völlige Übereinstimmung des Oviedo mit dem Diaz de Isla in 
Beziehung auf den amerikanischen Ursprung der Syphilis. Oviedo 
erklärt dieselbe für eine spezifische Krankheit der Antillen und 
des zentralamerikanischen Kontinentes. Die Syphilis wurde nach 
ihm durch die Indianerinnen den ersten Spaniern, welche mit 
Columbus dorthin kamen, mitgeteilt, durch diese nach Spanien 
gebracht, von wo sie alsbald gelegentlich des Feldzuges Karls VIII. 
sich weiter ausbreitete. Nicht französische, nicht neapolitanische 
Krankheit sei der richtige Name der Syphilis, sondern west- 
indische Krankheit. Unter seinen Gewährsmännern, die er 
sofort nach ihrer Rückkehr befragte, zählt Oviedo sowohl solche 
auf, die die erste Reise des Columbus mitgemacht hatten, als 
auch solche, die ihn auf der zweiten Reise begleitet hatten. Unter 
den ersteren nennt er besonders den Steuermann VicenteYafiez 
Pinzon, einen der drei Brüder Pinzon. Dies ist eine merk- 
würdige und überaus wertvolle Übereinstimmung mit der Angabe 
des Diaz de Isla. Denn dieser erwähnt gleichfalls einen Pinzon, 
den er auf dem ersten Geschwader des Columbus in Barcelona 
sah und sprach und der sich wie viele andere Teilnehmer an der 

Bloch, Syphilis. 2 


— i8 — 

ersten Reise die Syphilis aus der neuen Welt geholt hatte. Es 
ist höchst wahrscheinlich, daß dieser mit dem von Oviedo er- 
wähnten Pinzon identisch ist. Auch Oviedo bemerkt ferner in 
weiterer Übereinstimmung mit Diaz de Isla, daß durch den 
Zug Karls VIII. die Syphilis eine besondere Ausbreitung erlangte. 
Nach Oviedo befanden sich syphilitische Spanier in dem dem 
Könige von Neapel zu Hülfe geschickten Heere des „gran capitan'* 
Gonzalvo de Cordoba, nach Diaz de Isla im Heere Karls VIII. 
selbst. Beides ist ja durchaus zutreffend und wird durch die 
übrigen zeitgenössischen Berichte bestätigt. 

Bemerkenswert sind noch aus dem Berichte Oviedos an 
Kaiser Karl V. die Eingangsworte. Es heißt nämlich da mit 
stärkster Betonung: „Eure Majestät können es für ganz sicher 
halten, daß diese Krankheit aus Westindien stammt und unter 
den Indianern sehr gewöhnlich, aber in jenen Gegenden nicht so 
gefährlich ist wie in den unsrigen." 

Oviedo hat in seinem großen Werke über Westindien be- 
kanntlich versucht, im Interesse der spanischen Eroberer die grau- 
same Behandlung der Eingeborenen zu rechtfertigen. Zu diesem 
Zwecke, behaupten nun einige Historiker, habe er auch das 
Märchen vom amerikanischen Ursprünge der Syphilis erfunden. 
Aber das ist ganz hinfällig, denn der edle Las Casas, der Gegner 
des Oviedo und Freund der Indianer, bezeugt gleichwohl eben- 
falls ausdrücklich den amerikanischen Ursprung der Syphilis. 

Er war ebenfalls ein Zeitgenosse der Einschleppung der 
Syphilis,, sein Vater war sogar einer der Begleiter des Columbus 
auf dessen^ zweiter Reise, und er selbst fuhr schon 1498, 24 Jahre 
alt, nach Haiti, wo er nach vielen Reisen in Zentral- und Süd- 
amerika später dauernden Aufenthalt nahm und seine berühmte 
„Historia general de las Indias** verfaßte. 

Im 19. Kapitel des 5. Bandes dieses Werkes sagt er nun 
von Haiti: 

„Es gab und gibt zwei Dinge auf dieser Insel, welche im 
Anfang den Spaniern sehr beschwerlich waren. Das eine ist die 
Krankheit der Syphilis, welche man in Italien das Franzosenübel 


— 19 — 

nennt. Man weiß aber mit Sicherheit, daß sie von dieser Insel 
kam, entweder, als bei der Rückkehr des Admirals Don 
Christobal Colon mit den Nachrichten von der Entdeckung 
Westindiens die ersten Indianer kamen, welche ich selbst in 
Sevilla sah, oder es waren bereits einige Spanier mit dieser 
Krankheit behaftet bei der ersten Rückkehr nach Castilien. 
Und da um diese Zeit der König Karl von Frankreich mit einem 
großen Heere nach Italien ging, um Neapel zu erobern, und sich 
jene ansteckende Krankheit unter dem Heere verbreitete, glaubten 
die Italiener, daß sie von diesen Soldaten die Krankheit bekommen 
hätten und nannten sie deshalb von jener Zeit an die Franzosen- 
krankheit. 

Ich gab mir mehrere Male die Mühe, die Indianer 
dieser Insel auszufragen, ob diese Krankheit bei ihnen 
sehr alt sei, und sie antworteten ja, lange vor jener Zeit, als 
die Christen zu ihnen gekommen seien, ohne daß man an ihren Ur- 
sprung eine Erinnerung habe, und hieran kann Niemand zweifeln. 

Es ist auch eine sehr ausgemachte Sache, daß alle geschlecht- 
lich ausschweifenden Spanier, welche auf dieser Insel nicht die 
Tugend der Keuschheit bewahrten, von der Krankheit angesteckt 
wurden, und daß von hundert nicht ein einziger ihr entging, falls 
nicht das Weib gesund war". 

Auch Las Casas berichtet dann über die Intensität der 
Krankheitserscheinungen bei den Spaniern in Vergleichung mit 
dem milden Verlaufe der Syphilis bei den Eingeborenen. 

So sehen wir, daß die Berichte jener drei, so verschiedenen 
Lebenssphären angehörenden und in ihren politischen Anschau- 
ungen divergierenden Zeitgenossen doch übereinstimmend die 
Tatsache bekunden, daß die Syphilis amerikanischen Ursprunges 
ist. Und zwar war die Syphilis auf Haiti der unselige Urquell, 
aus dem sich dann alsbald das Gift in solchen Strömen über 
Europa und die ganze alte Welt ergoß. 

Der Hieronymitenpater Roman Pane, der Columbus auf 
seiner zweiten Reise begleitete, hat uns in seinem Berichte über 
die Sagen, Sitten und Gebräuche der Karaiben von Haiti auch 


20 


den Mythus vom Nationalheros Guagagiona überliefert, der in- 
folge seiner zahh-eichen Liebschaften an Syphilis erkrankt, die 
deutlich beschrieben wird. Dieser göttliche Heros entbrennt dann 
einmal wieder in heißer Liebe zu einem schönen Weibe, aber un- 
glücklicherweise gerade in dem Augenblicke, als er, schwer von 
der Syphilis heimgesucht, die hier als die wahre National- 
krankheit der Haitianer dargestellt wird, am ganzen Körper 
mit Geschwüren bedeckt ist. Der vielerfahrene Don Juan weiß 
ganz genau, daß die von ihm Begehrte sich ihm in seinem jetzigen 
Zustande nicht hingeben wird, weil sie die Folgen fürchtet: die 
Ansteckung! Seine Heilung ist die conditio sine qua non 
seines Liebesglückes. Schnell entschlossen beginnt er sofort die 
Kur. — Es wird uns nun aufs allerdeutlichste die bekannte Syphilis- 
kur der Indianer, deren auch Diaz de Isla gedenkt, beschrieben, 
sie bestand im wesentlichen aus hydrotherapeutischen Proze- 
duren und aus einer Schwitzkur in einem abgesonderten Raum, 
ganz ähnlich wie später von Ulrich von Hütten und anderen 
die Guajak- Kuren beschrieben werden. 

Von größtem Interesse ist nun, und ein geradezu glänzendes 
Zeugnis für den Wert dieses merkwürdigen Dokumentes der Ge- 
brauch des gleichen Wortes „guanara" für Syphilis und was damit 
zusammenhängt, wie wir ihn auch bei Diaz de Isla antreffen. 
Letzterem konnte die erst viel später veröffentlichte Schrift des 
Roman Pane nicht bekannt sein. 


Die präcolumbische Existenz der Syphilis auf den Antillen 
macht ohne weiteres diejenige auf dem Festlande des nahen 
Zentralamerika wahrscheinlich. Und in der Tat ist uns von dem 
so hochentwickelten Kulturvolke der Azteken die sicherste Kunde 
darüber überliefert worden. Dank den Forschungen von Montejo 
und Sei er haben wir jetzt eine kritische Verarbeitung des hier 
vorliegenden Quellenmateriales zur Verfügung. Dieses ist nament- 


2 1 


lieh dem Franziskanerpater Bernardino de Sahagun zu ver- 
danken, der kurz nach der Eroberung des Landes nach Mexiko 
kam, sofort die aztekische Sprache in geradezu meisterhafter 
Weise erlernte und selbst 40 Jahre lang in der Klosterschule von 
Santa Cruz zu Tlatelolco die Mexikaner in der spanischen und 
lateinischen Sprache unterrichtete. Letztere waren in ihrer großen 
linguistischen Befähigung gewissermaßen die Russen der neuen 
Welt. Bald konnten Leute, die noch kurz vorher keinen Europäer 
gesehen hatten, lateinisch oder spanisch sogar Schriftstellern. Die 
ersten eingeborenen Schriftsteller dieser Art wie Tezozomoc 
und Chimalpahin stammten noch aus der präcolumbischen Zeit. 

Sahagun unterrichtete die Azteken auch in den realen 
Wissenschaften wie z. B. der Medizin. Er dagegen sammelte 
während dieser Zeit das Material zu seiner großcirtigen „Historia 
general de las cosas de Nueva Espana", nach Seier einer „Ency- 
klopädie des altmexikanischen Wissens, so wie es von den Mexi- 
kanern ausgearbeitet und von Generation zu Generation fortge- 
pflanzt wurde.'* Er ließ sich alle in diesem Werke enthaltenen Mit- 
teilungen von den Indianern selbst diktiren und zwar in az- 
tekischer Sprache, indem er überall auf die Feststellung der 
Wahrheit den größten Wert legte. So bietet uns dieses Werk ein 
treues Bild altmexikanischen Lebens und altmexikanischer Kultur, 
und mit Recht legt deshalb Seier gerade den Mitteilungen des 
Sahagun über die Syphilis die allergrößte Bedeutung bei. 

Ich habe dann noch auf einen anderen Umstand hinge- 
wiesen, der gerade die Mitteilungen der Azteken über die 
Syphilis so bedeutungsvoll erscheinen läßt. Bei näherer Unter- 
suchung stellte sich mir nämlich die altmexikanische Medizin als 
eine solche von eminent wissenschaftlichem Charakter heraus, 
die ungefähr für die neue Welt dereinst das bedeutet hat, was 
für die alte die griechische Medizin geleistet hat. So kannten 
die aztekischen Arzte in der Chirurgie bereits die Narkose und 
Wundnaht, in der Geburtshülfe die Beeinflussung des Fötus durch 
die Nahrung, die Wendung, die Embryotomie, vor allem aber 
pflegten sie ganz im Geiste der modernen Wissenschaft die 


22 — 

systematische Forschung und die wissenschaftliche Me- 
thode, legten große Sammlungen von Tieren und Pflanzen zu 
naturwissenschaftlichen und medizinischen Zwecken an, hatten 
sogar eine Art von pathologischen Museen und zahlreiche 
botanische Gärten, in denen besonders Medizinalpflanzen gehalten 
wurden. Diese Gärten dienten den Ärzten zum Studium der 
Heilpflanzen. Es waren dieselben ausdrücklich angewiesen, die 
Wirkungen der Medizinalpflanzen bei den einzelrfen Krankheiten 
in systematischer Weise zu prüfen und wissenschaftlich zu er- 
forschen. Am Hofe des Königs von Michoacan befand sich so- 
gar eine eigene medizinische Körperschaft, die mit dem Studium 
der Heilkräfte der Pflanzen beauftragt war. Dieselbe war voll- 
kommen organisiert und bestand aus den „medicos simplicistas** 
unter dem Befehl eines Oberarztes und den „floristas" mit einem 
„florista principal'* an der Spitze. Hernandez berichtet, das die 
Tarascos von Michoacan allein gegen 300 Medizinalpflanzen kannten, 
über die sie ihm Bericht erstatteten. 

Das schönste Zeugnis aber für den eminent wissenschaft- 
lichen Geist der mexikanischen Medizin ist die Tatsache, daß es 
sogar kolorierte Pflanzen-Atlanten gab, ähnlich wie sie das 
griechische Altertum in der berühmten kolorierten Materia media 
des Krateuas kennt. 

Die Pharmakologie, insbesondere die Lehre von den spezi- 
fischen Arzneimitteln erfuhr daher bei den allen Mexikanern 
eine überraschende Ausbildung. Viele ihrer Arzneimittel sind 
mit denselben Indikationen auch in den europäischen Arzneischatz 
übergegangen. 

Am erstaunlichsten ist aber die Tatsache, daß die aztekischen 
Arzte bereits eine ziemlich umfangreiche soziale Wirksamkeit 
entfalteten. So wurden sie z. B. bei aillen das eheliche Leben 
betreffenden Verhältnissen zu Rate gezogen, z. B. bei Bigamie. 
Ferner gab es wohleingerichtete, von erfahrenen Ärzten geleitete 
Hospitäler, die ähnlich den heutigen englischen Krankenhäusern 
durch die Privat Wohltätigkeit der Bevölkerung erhalten wurden, 
und denen die Kranken aus allen Teilen des lindes zuströmten. 


— 23 — 

Nach alledem wird man sich nicht wundern, daß die mexi- 
kanischen Arzte auch die Syphilis in den Bereich ihrer wissen- 
schaftlichen Studien einbezogen haben. Wir können uns aus den 
Angaben in dem schon erwähnten Werke des Sahagun und in 
der pharmakologischen Schrift des spanischen Arztes Francisco 
Hernandez über die pflanzlichen, tierischen und mineralischen 
Heilmittel der alten Mexikaner, das um 1570 verfaßt wurde, eine 
eine ungefähre Vorstellung davon machen. Danacli unterschieden 
die Azteken bereits einen schweren und leichten Verlauf der 
Syphilis, indem sie ganz richtig den ersteren aus der Erscheinung 
größerer Pusteln und Geschwüre auf der Haut vorhersagten, 
während kleinere Pusteln auf einen leichteren Verlauf hoffen 
ließen. Außerdem war ihnen der Zusammenhang zwischen der 
Affektion der Genitalien, dem sogenannten Primäraffekt und dem 
Hautexanthem genau bekannt. Ebenso kannten sie die An- 
schwellung der Leistendrüsen, die Feigwarzen, und schließlich unter- 
schieden sie deutlich die Syphilis als eine konstitutionelle d. h. 
den ganzen Körper in Mitleidenschaft ziehende Erkrankung von 
den bloß örtlichen Affektionen wie der Gonorrhoe u. s. w. Dieser 
genauen Kenntnis der Symptome der Syphilis stand eine, wie 
Sahagun und die Arzte Hernandez und Benavides bezeugen, 
uralte Erfahrung in der Behandlung der Krankheit gegenüber. 
Benavides tut den kurzen, aber vielsagenden Ausspruch: „Die 
Eingeborenen kennen die Syphilis besser als ich." Ihre Behand- 
lungsweise der Syphilis war eine innere, medikamentöse mittelst 
vegetabilischer Substanzen, und eine äußere mit pflanzlichen und 
mineralischen Stoffen, mit Bädern und chirurgischen Eingriffen, 
und sie erzielten nach Angabe der spanischen Ärzte damit glän- 
zende Erfolge. 

Alle diese wichtigen Tatsachen und Beweise für die Existenz 
der Syphilis auf dem Festlande von Amerika werden noch durch 
zahlreiche andere unterstützt, die ich in meinem Buche genau 
verzeichnet habe und auf die ich hier nicht näher eingehen will. 

Der Weg der Einschleppung des Syphilis in Europa liegt 
bereits durch die Berichte der spanischen Autoren klar vor Augen. 


— 24 — 

Spanien war das erste Land, das die Syphilis als Danaergeschenk 
der neuen Welt bekam, und hier wiederum w^aren Sevilla und Bar- 
celona d. h. diejenigen Orte, wo die Mannschaft des Columbus 
nach ihrer Landung sich längere Zeit aufhielt, zugleich der Mittel- 
punkt lokaler Syphilisepidemien, die sich von hier aus dann, 
dem Zuge der Heere folgend, zunächst in Italien verbreiteten. 

Wir wissen aus Dokumenten, daß in Sevilla, wohin 
Columbus bei seiner Rückkehr von Palos aus zu Schiffe auf 
dem Guadalquivir fuhr und vier Wochen verweilte, eine Syphilis- 
endemie bald daranf entstand. Denn man mußte schon nach 
einigen Jahren zu dem Bau eines Hospitals für die an der „west- 
indischen Krankheit" Leidenden, wie es in dem von Montejo 
durchforschten Hospitalarchive heißt, schreiten. Die Einschlep- 
pung der Lustseuche in Barcelona, wohin sich Columbus 
von Sevilla aus, auf dem Wasserwege begab d. h. also, ohne 
das übrige Spanien zu berühren, ist uns ja durch Diaz de Isla 
und Oviedo direkt bezeugt worden. Wir haben aber noch 
einen dritten wertvollen Zeugen für die Ausbreitung der Syphilis 
in Barcelona noch vor dem Feldzuge Karls VIII., in der Person 
des italienischen Humanisten Nikolaus Scyllatius, der in 
einem Briefe vom Juni 1495 aus Barcelona über die dort seit 
längerer Zeit herrschende Syphilis-Epidemie berichtete, infolge 
deren zahlreiche Einwohner erkrankt seien. Diese Epidemie 
herrsche bereits weit über ein Jahr in Barcelona. 

Endlich verbürgen uns viele gleichzeitige italienische Chro- 
nisten, die Einschleppung der Syphilis aus Amerika auf dem 
Wege über Spanien. So heißt es in den sicilischen Annalen 
schon unter dem Jahre 1498, daß die Syphilis in Neapel zum 
Ausbruche gekommen sei, wo sich Spanier befunden hätten, die 
die Seuche von Westindien mitgebracht hätten. Senarega gibt 
in seiner genuesischen Geschichte sogar genau an, daß die Syphilis 
zwei Jahre vor dem Zug Karls VIIL, also 1493, in Spanien 
aufgetaucht sei, wohin sie aus dem fernen Westen verschleppt 
worden sei. Die zeitgenössischen italienischen Ärzte Alexander 
Benedict US und Antonio Benivieni erklären gleichfalls. 


- 25 — 

daß die Syphilis nach Italien aus Spanien gekommen sei. Und 
noch viele andere Chronisten, die ich alle in meinem Werke ver- 
zeichnet habe, geben dieselbe Nachricht. Sehr bezeichnend ist 
auch der Umstand, daß man sich in Italien zur Heilung der 
Krankheit spanische Ärzte verschrieb, die schon etwas mehr Er- 
fahrung in der Behandlung der neuen Krankheit besaßen, als die 
italienischen Praktiker. 


Es gibt endlich noch einen letzten, wie mir scheint, absolut 
zwingenden Beweis für die Herkunft der Syphilis aus Amerika. 
Wie der ganze Verlauf der Syphilisepidemie in Spanien und 
Italien deutlich zeigt, daß es sich um eine von außerhalb einge- 
schleppte Krankheit handelt, so wird dies durch die Betrachtung 
ihrer Wanderung durch die Länder der alten Welt in der auf- 
fallendsten Weise bestätigt. Überall tritt sie als eine neue 
Krankheit auf und überall läßt sie sich auf eine Einschlep- 
pung zurückführen. Als Resultat ergibt sich für den Bereich 
des gesamten Orbis antiquus eine Einschleppung der 
Syphilis von außerhalb, d. h. vom Orbis novus, aus Amerika. — 
Die Ausbreitung der Syphilis in der alten Welt erfolgte mit großer 
Schnelligkeit. Wir sehen dieselbe in wenigen Jahren sich in 
allen Teilen Europas einnisten, bis 1500 hatte sie fast alle euro- 
päischen Länder mehr oder weniger ergriffen und schon in den 
ersten Jahren des 16. Jahrhunderts tauchte die Lustseuche im 
fernen Ostasien auf, in China und Japan. Auch in Afrika lassen 
sich Spuren einer früheren Einschleppung der Krankheit nach- 
weisen. 

Unter den Ursachen dieser außerordentlich schnellen Pro- 
pagation der Krankheit war die allerwichtigste ohne Zweifel der 
„jungfräuliche Boden", auf dem dieses furchtbare Gift so 
üppig blühen und gedeihen konnte. Die Heftigkeit und Bös- 
artigkeit der Krankheitserscheinungen, der im ganzen doch be- 


— 26 — 

deutend schnellere Verlauf als heutzutage, lehren die außerordent- 
liche Empfänglichkeit der von dieser Krankheit bisher noch 
nicht betroffenen Völker. Mit Recht bemerkt Professor Rudolf 
Bergh, ein ausgezeichneter Geschichtsforscher und hervorragen- 
der Syphilidologe : „Es geht aus den Beschreibungen der zeitge- 
nössischen Verfasser hervor, daß die ersten syphilitischen Erschei- 
nungen während jener Epidemie im ganzen von denen, womit 
die Syphilis jetzt gewöhnlich auftritt, ziemlich verschieden gewesen 
sind. Das Virus scheint damals gleichsam kräftiger gewesen zu 
sein, weshalb die Ansteckung auch vielleicht leichter 
stattgefunden hat; die allgemeinen Symptome scheinen früh- 
zeitiger aufgetreten zu sein, noch dazu viel intensiver und ganz 
besonders häufig mit bösartigem Verlaufe. Während solche ga- 
loppierenden P'ormen von Syphilis heutzutage weniger vorkommen, 
scheinen sie damals ganz häufig gew^esen zu sein**. 

Wenn die Syphilis schon Jahrtausende bestanden hätte, 
dann hätte doch im Laufe dieser langen Zeit eine so große Im- 
munisierung der Völker des Orbis antiquus gegen das syphilitische 
Gift eintreten müssen, daß die Ereignisse am Ende des 15. Jahr- 
hunderts einfach unmöglich gewesen wären. Ist doch schon 
heute, nach w^enigen Jahrhunderten bereits eine sehr deutliche 
Abschwächung des syphilitischen Virus nachzuweisen. 

Dieser mehr allgemeinen Ursache der schnellen Verbreitung 
der Lustseuche reihen sich eine ganze Anzahl spezieller Ursachen 
an. Für Europa kommen zunächst die Söldner und Lands- 
knechte in Betracht, welche nach dem Feldzuge Karls VIII. 
das neue Übel in alle Länder verschleppten. Wohl bei keiner 
anderen Volksseuche haben diese rohen zuchtlosen Scharen eine 
so verhängnisvolle Rolle gespielt, wie bei der Syphilis. Diese 
Abenteurer aus allen Ländern Europas zerstreuten sich nach 
Beendigung eines Feldzuges nach allen Richtungen, füllten die 
Herbergen, Wirts-, Spiel- und Frauenhäuser, ergaben sich dem 
Trünke und wüsten Ausschweifungen. Es ist daher kein Zufall, 
daß die „zwo böse sucht*', nämlich die Syphilis und die Lands- 
knechte überall zusammen auftreten, wie das in mehreren von 


— 27 — 

uns mitgeteilten poetischen und prosaischen Berichten der Zeit 
geschildert wird. Die Söldner Karls VIII. verbreiteten die 
Syphilis sehr schnell, besonders in Deutschland, der Schweiz, den 
Niederlanden und Frankreich. In Deutschland blieb seitdem 
Welschland verrufen als das Land, aus dem derartige Übel 
meistens mitgebracht würden, und noch lange erhielt sich im 
Volksmunde die Tradition von der fremden Herkunft der Syphilis. 

Neben der Zerstreuung der Kriegsknechte über alle Länder 
sind die Verhältnisse einer zügellosen Prostitution, die in 
jener Zeit eben noch mit voller mittelalterlicher Unbefangenheit 
waltete, für die außerordentliche Verbreitung der Syphilis ver- 
antwortlich zu machen. Sehr drastisch und zutreffend hat der 
Arzt Brassavola die Rolle der Freudenmädchen beim Aus- 
bruche der Syphilisepidemie geschildert und nachgewiesen, daß oft 
eine einzige hundert Männer ansteckte. Auch Haselbergk 
bringt in seinem Gedicht über die Syphilis die Bordelle und 
Frauenhäuser, die in geradezu verschwenderischer Zahl in allen 
mittelalterlichen Städten den allezeit überaus zahlreichen Be- 
suchern offen standen, mit der großen und schnellen Verbreitung 
der Syphilis in Beziehung. Er zählt die berühmtesten Stätten 
der Lust in deutschen Landen auf. 

Die in geschlechtlichen Dingen höchst unbefangene Auf- 
fassung jener Zeit verband keineswegs mit dem Begriffe der 
Prostitution denjenigen der Schande, und der Besuch der Bor- 
delle war ein unschuldiges Vergnügen, das sich jeder in aller 
Öffentlichkeit erlaubte. Bei Festen strömten große Massen 
den Frauenhäusern zu und städtische Magistrate, wie z. B. der 
von Bern im Jahre 13 14, ließen es sich nicht nehmen, das kaiser- 
liche Gefolge bei den „schönen Frauen im Gäßlein" frei zu halten. 
In Lausanne waren selbst Geistliche Hurenwirte und drohten 
durch ihre Konkurrenz die Stadtbordelle zugrunde zu richten. 
Das Bedürfnis des Bordellbesuches war so groß und konnte in 
so ungenierter Weise befriedigt werden, daß an manchen Orten 
sogar Schuldgefangene von ihren Gläubigern wöchentlich zwei- 
mal „Frauengeld** fordern durften! 


— 28 — 

Neben diesen beiden Hauptursachen will ich ganz kurz noch 
einige andere begünstigende Faktoren für die schnelle Ver- 
breitun^r der Syphilis anführen. Das waren erstens die öffent- 
lichen Bäder mit ihrem zwanglosen Verkehr zwischen den Ge- 
schlechtem, die Ansteckung durch unreinliche Betten, die da- 
mals öfter beobachtet wurde, durch Schröpfköpfe, was z. B. 
eine große Syphilisepidemie in Brunn zur Folge hatte, durch die 
Unsitte des Aussaugens der Geschwüre und endlich durch die 
Unkenntnis der Ärzte in der ersten Zeit, so daß die Krankheit 
gar nicht oder unzweckmäßig behandelt wurde. 

Begünstigt durch alle diese Verhältnisse konnte sich die 
Syphilis innerhalb weniger Jahre in ganz Europa ausbreiten, und 
da die Zeit ihres ersten Auftretens mit der Epoche der Ent- 
deckungsreisen zusammenfiel, wurde sie, namentlich durch die 
Portugiesen bald auch nach Afrika und in den fernen Osten 
gebracht. 

Ich habe nun im einzelnen für alle europäischen Länder 
und für einen großen Teil der asiatischen, ja sogar auch für 
Afrika und Australien die Einschleppung der Syphilis und bei 
den meisten die Jahreszahl derselben nachweisen können. Dies 
hier im einzelnen anzuführen, muß ich mir heute versagen. Auch 
bedarf die Geschichte der Syphilis in jedem einzelnen Lande noch 
einer eigenen Monographie. Auch für Deutschland steht dieselbe 
noch aus und dürfte auch nur durch die Verbindung eines Histo- 
rikers mit einem geschichtskundigen Arzt ermöglicht werden. 
Ich erwähne nur, daß ich für folgende deutsche Städte und Land- 
schaften die Einschleppung der Syphilis in den Jahren 1495 bis 
1497 nachgewiesen habe: Bamberg, Bayreuth, Breslau, Erfurt, 
Frankfurt a. M., Homburg, Hildesheim, Köln, München, Nieder- 
rhein, Oldenburg und Ostfriesland, Nördlingen, Nürnberg, Prag, 
Straßburg, Wien, Würzburg. Diese Liste ist von Herrn Dr. 
Armin Tille inzwischen noch durch weitere Städtenamen ergänzt 
worden (Deutsche Geschichtsblätter 1902, p. 314 — 320). 

Bemerkenswert ist noch die Benennung der Syphilis in vielen 
Ländern, die sehr deutlich die Überraschung und Ratlosigkeit 


— 29 — 

gegenüber der neuen Krankheit widerspiegelt. So nannte man 
sie in den meisten Ländern nach der Gegend, von wo sie ein- 
geschleppt worden, daher hieß sie in Spanien westindische 
oder haitianische Krankheit, in Italien spanische oder fran- 
zösische Krankheit, in Deutschland Franzosenkrankheit, 
auch kurz „die Franzosen", „gallische Krankheit", in England 
„French Pox" oder „Morbus burdigalensis" (nach der Einschleppung 
aus Bordeaux), in Portugal „El mal de Castilla", in Rußland 
polnische Krankheit, da sie aus Polen zuerst dahin gelangt war, in 
der Türkei die fränkische, d. h. die von den Christen eingeschleppte 
Krankheit, in Indien und Japan die portugiesische Krankheit, in 
Nordafrika die spanische Krankheit. 

Außerdem legte man ihr noch unzählige Namen je nach 
den äußeren Erscheinungen, den vorzugsweise befallenen Teilen, 
den supponierten Ursachen und der Verbreitung bei. Auch be- 
nannte man die Syphilis vielfach nach Heiligen. Ich habe 
525 Bezeichnungen der Syphilis bei den verschiedenen Völkern 
im Anhange meines Buches zusammengestellt. Endlich machte 
um 1520 der italienische Arzt Fracastoro dem Wirrwarr ein 
Ende, indem er der Krankheit nach dem mythischen Hirten 
Syphilus den ihr seitdem verbliebenen wissenschaftlichen Namen 
„Syphilis" gab. 


Nachdem wir so die Syphilis kennen gelernt haben als die 
verhängnisvolle Gabe der neuen Welt an die alte, dargebracht 
bei der ersten Berührung der beiden, bei der ersten Bildung 
dessen, was wir in Hinblick auf die von der Renaissance, der 
Reformation, den Entdeckungsfahrten ausgehenden geistigen Be- 
wegungen und materiellen Fortschritte, als die Anfänge der mo- 
dernen Zivilisation bezeichnen, nachdem wir, sage ich, gerade 
in dieser Epoche die Syphilis als eine neue, dem Einzelnen und 
der Gesellschaft verderbliche Seuche auftauchen sehen, haben wir 
das Recht, sie als die eigentliche, spezifische Krank- 


— 30 — 

heit der Neuzeit zu bezeichnen, welche in ihren Wirkungen 
und Folgen der modernen europäischen Kultur ebenso ihr Ge- 
präge aufdrückt, wie der Aussatz der mittelalterlichen Zeit. Auf 
dem internationalen Ärztekongreß in Moskau 1897 hat v. Krafft- 
Ebing das berühmte Wort von der innigen Verknüpfung aller 
Zivilisation mit der Syphilisation ausgesprochen. Es ist das eine 
Tatsache, keine Notwendigkeit. 

Tief und nachhaltig hat die Syphilis den gesellschaftlichen 
Zustand der Neuzeit beeinflußt, namentlich in die Verhältnisse 
der Geschlechter eingegriffen, das Liebesleben von Grund aus 
umgestaltet und so in dieser Bezeichnung einen tiefen Einschnitt 
zwischen Altertum und Mittelalter auf der einen Seite und der 
Neuzeit auf der anderen Seite gemacht. 

Mit genialem Blicke hat Schopenhauer diese weltge- 
schichtliche Bedeutung des Syphilis erkannt. Er sagt in den 
„Aphorismen zur Lebensweisheit": „Zwei Dinge sind es haupt- 
sächlich, welche den gesellschaftlichen Zustand der neuen Zeit 
von dem des Altertums zum Nachteil des ersteren unterscheiden, 
indem sie demselben einen ernsten, finstern, sinistern Anstrich 
gegeben haben, von welchem frei das Altertum heiter und un- 
befangen, wie der Morgen des Lebens dasteht. Sie sind: Das ritter- 
liche Ehrenprinzip und die venerische Krankheit — par 
nobile fratrum! Sie zusammen haben veixog juad q>iXia des Lebens 
vergiftet. Die venerische Krankheit nämlich erstreckt ihren Ein- 
fluß viel weiter, als es auf den ersten Blick scheinen möchte, 
indem derselbe keineswegs ein bloß physischer, sondern auch ein 
moralischer ist. Seitdem Amors Köcher auch vergiftete Pfeile 
führt, i5t in das Verhältnis der Geschlechter zu einander ein 
fremdartiges, feindseliges, ja teuflisches Element gekommen, in 
Folge wovon ein finstres und furchtsames Misstrauen es durch- 
zieht; und der mittelbare Einfluß einer solchen Änderung in der 
Grundfeste aller menschlichen Gesellschaft erstreckt sich, mehr oder 
weniger, auch auf die übrigen geselligen Verhältnisse,'* 

Man muß bei den ewig sich wiederholenden Klagen über 
die angebliche Unsittlichkeit der Jetztzeit, die auf völliger Un- 


i^^r^l^H^^VW^^^^MMHHIW^B^Jtn« I J •^wvi«|' 


— 31 — 

kenntnis der Vergangenheit beruhen, immer wieder darauf hin- 
weisen , daß Altertum und Mittelalter in Beziehung auf allge- 
meine Verbreitung einer skrupellosen Unzucht nie wieder über- 
troflFen worden sind. Diese kolossale geschlechtliche Unsittlich- 
keit der Alten war aber nur möglich, weil die Syphilis noch 
nicht da war. Wenn auch die übrigen Geschlechtskrankheiten 
vorhanden waren und ihre Ansteckungsfähigkeit nicht unbe- 
kannt war, so muß jeder unbefangene Beurteiler zugeben, daß 
deren Bedeutung gegenüber derjenigen die Lustseuche ver- 
schwindet. Die naive Ungebundenheit im geschlechtlichen Ver- 
kehr entsprang aus dem Nichtvorhandensein der „Geschlechtspest'S 
wie man die Syphilis treffend genannt hat. 

Und in der Tat sehen wir, daß das Auftreten der Syphilis 
alle diese Verhältnisse von Grund aus umgestaltet hat. Seitdem 
wurden die „lichten Fröwlein" des Mittelalters zu den verab- 
scheuungswürdigsten Geschöpfen, die als Vermittlerinnen und Ver- 
breiterinnen einer furchtbaren Krankheit für immer mit dem Kains- 
zeichen gestempelt wurden. Die Syphilis war die Hauptursache 
des Verfalles der mittelalterlichen Frauenhäuser. Den gleichen 
Einfluß übt das Auftreten der Seuche auf das Badewesen aus. 
Die früher von beiden Geschlechtern oft gemeinschaftlich be- 
suchten Badestuben verödeten schon in den ersten Jahren. 
Erasmus von Rotterdam erklärt geradezu, daß „der neue Aus- 
schlag uns gelehrt hat, die öffentlichen Bäder zu entbehren,'* ja 
die einfache Berührung mit der Hand, der Atem des Kranken 
galten als ansteckend. 

So rief die Syphilis, bei ihrem ersten Auftreten wie ein Alp 
auf den Beziehungen zwischen den Menschen lastend, eine größere 
Trennung und Absonderung derselben von einander hervor, als 
die früheren Zeiten sie gekannt hatten und trug so zur Förde- 
rung und Ausbreitung der geistigen und körperlichen Freiheit des 
Menschen nicht unwesentlich bei. Wenn man den Charakter der 
Renaissance in dem Erwachen des Individualismus gegenüber 
der mittelalterlichen Gebundenheit sieht, so scheint mir die 


t 


— 32 — 

Syphilis wenigstens einen bescheidenen Anteil daran beanspruchen 
zu können. 

Der italienische Dermatologe Tommasoli bringt den all- 
gemeinen Niedergang, der sich am Ende des 16. Jahrhunderts 
auf allen Kulturgebieten bemerkbar macht, mit dem Auftreten 
der Syphilis in Zusammenhang, die nach ihm damals psychische 
Alterationen eingreifendster Art ausüben mußte. Wenn man die 
bedeutende Einwirkung der jetzt so viel milder verlaufenden 
Syphilis auf das gesamte Nervensystem in Betracht zieht, so er- 
scheint diese Ansicht als sehr annehmbar. Ich erinnere nur an 
die geistesschwache Deszendenz des syphilitischen Franz I. von 
Frankreich. Wir wissen ja heute, daß zwei schwere Erkrankungen 
des Zentralnervensystems, die Tabes oder Rückenmarksschwind- 
sucht und die progressive Paralyse oder fortschreitende Lähmung 
der Irren fast ausschließlich auf eine frühere syphilitische Er- 
krankung zurückzufuhren sind. Besonders die letztere scheint als 
eine durch die Syphilis bedingte spezifische moderne Krank- 
heit gelten zu müssen, als welche sie Ibsen in den „Gespenstern'* 
so ergreifend geschildert hat. 

Ferner kann darüber kein Zweifel bestehen, daß der Syphilis 
ein bedeutender Anteil zukommt an der modernen Degene- 
ration der Individuen und Rassen, vermöge der furchtbaren 
Erscheinung der Erbsyphils, welche vielleicht mehr am Marke 
der Gesellschaft nagt als die erworbene Syphilis, indem sie sich 
sogar auf die zweite Generation erstreckt, die, wenn auch nicht 
immer direkte syphilitische, so doch lebensschwache Individuen 
hervorbringt. 

Die Gefahren der erworbenen und ererbten Syphilis für die 
Gesellschaft sind sehr mannigfaltig, ich erwähne nur die Rolle 
der Syphilis in der Ehe nebst deren Folgen (Totgeburten, Ehe- 
scheidungen, Ansteckung der Amme, Unfruchtbarkeit der Ehe 
u. s. w.), die Zunahme der Kindersterblichkeit, die Militäruntaug- 
lichkeit syphilitisch infizierter junger Männer u. s. w. 

Vor allem ist darauf hinzuweisen, daß die Syphilis durchaus 
nicht immer durch den Geschlechtsverkehr sich verbreitet; ein 


— 33 — 

nicht unbedeutender Prozentsatz in Deutschland, und 50 — 60% 
der Ansteckungen in gewissen Distrikten Rußlands und der 
Türkei erfolgen auf außergeschlechtlichem Wege. Es handelt 
sich um die sogen. „S. insontium", um die unverschuldete An- 
steckung mit Syphilis durch Berührungen mannichfaltiger Art mit 
dem syphilitischem Gift, z. ß. durch Küssen (auch lebloser Gegen- 
stände, wie denn in England öfter die vor Gericht zur Bekräfti- 
gung des Schwures zu küssende Bibel die Übertragung der 
Krankheit vermittelte), durch Speisegeräte, Befeuchten der Brief- 
marken mit der Zunge, Benutzung fremder Taschentücher, Täto- 
wierung, durch die Unsitte, Bleistifte in den Mund zu nehmen, 
durch den Gebrauch fremder Tabakspfeifen, Blasinstrumente und 
Zahnstocher, der Mundstücke in den Glasbläsereien, durch unge- 
reinigte Rasiermesser u. s. w. Prof. Bergh hat alle diese und 
andere Modi der unverschuldeten Ansteckung in einer kleinen 
Monographie zusammengestellt 

Trotz aller dieser traurigen Tatsachen dürfen wir an der 
tröstlichen Hoffnung festhalten, dciß für uns soeben der fünfte 
Akt des Jahrhundertdramas der Syphilis angebrochen ist, der 
fünfte und letzte, Ich spreche dies nicht leichtfertig aus, sondern 
ich habe meine ernsten Gründe dafür. 

Erstens ist eine Abschwächung des syphilitischen Giftes, 
eine gewisse Immunisierung der europäischen Menschheit gegen 
dasselbe deutlich erkennbar. Im allgemeinen hat heute die Syphilis 
einen relativ milden Verlauf Die wenigen schweren Fälle be- 
ruhen auf einer angeborenen schlechten Konstitution, auf 
Alkoholismus, auf grober Vernachläßigung und unge- 
nügender Behandlung. Das Fortschreiten dieser Immunisie- 
rung ist auch in dem sogenannten Profetaschen Gesetze er- 
kennbar, d. h. in der Tatsache, daß Kinder syphilitischer Mütter, 
ohne selbst zu erkranken, gegen Syphilis immun sind. Auch noch 
andere Erscheinungen, auf die ich hier nicht eingehen kann, 
sprechen für die Existenz einer Immunität gegen Syphilis, an 
welcher wohl auch die starke Merkurialisierung der früher 
durchseuchten Generationen einen gewissen Anteil hat Denn das 

Bloch, Syphilis. 3 


— 34 — 

Quecksilber ist und bleibt deis mächtigste, zuverlässigste, sicherste 
Mittel gegen die Syphilis, es ist für diese das, was das Wasser für 
das Feuer ist. Dies sagen nicht die St. Germains und 
Cagliostros in der Medizin, sondern die Erfahrung sehr ob- 
jektiver, genau beobachtender Arzte hat es in Jahrhunderten zur 
Evidenz bewiesen. 

Weiter eröffnet sich in der planmäßigen Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten, die seit wenigen Jahren in allen 
zivilisierten Staaten Europas begonnen hat, die Aussicht auf eine 
baldige Einschränkung der Verbreitung der Syphilis. Aufklärung 
der Einzelnen auf der einen Seite, zweckmäßige Maßregeln zur 
Eindämmung und Sanierung der Prostitution auf der anderen 
Seite müssen sich verbinden, um den gewünschten Erfolg herbei- 
zuführen. Mit Recht bemerkt Dr. Ströhmberg in seinem vor- 
trefflichen Werke über die Bekämpfung der Geschlechtskrank- 
heiten (Stuttgart 1903, p. 27), daß ohne den außerehelichen Ge- 
schlechtsverkehr in einem Kulturlande wie Deutschland die Syphilis 
nach wenigen Generationen spurlos verschwunden sein 
werde. 

Da wir neuerdings auch in die Kolonialpolitik eingetreten 
sind, so mag bemerkt werden, daß diese in betreff der Syphilis 
wenigstens die große Gefahr einer neuerlichen Verstärkung des 
syphilitischen Virus mit sich bringt. Es ist erwiesen, daß die 
syphilitische Ansteckung, die ein Weißer sich bei Negern oder 
Mongolen zuzieht, eine viel intensivere Erkrankung zur Folge 
hat und einen maligneren Verlauf der Syphilis, als wenn er in 
bezug auf den Geschlechtsverkehr innerhalb der eigenen Rasse 
bleibt. So teilt mir Herr Prof. Balz in Tokio mit, daß die 
Europäer sich in Japan meist eine sehr bösartige Syphilis zu- 
ziehen, und von dem größten Kolonialvolke, den Engländern, 
sagt der Prager Dermatologe Pick, daß die Syphilis ihr zer- 
störendes Prinzip zu zwei-, drei- und vierfach stärkeren Dosen in 
ihr Blut mische, als bei den anderen Nationen. Hier droht also die 
Gefahr einer Verzögerung der fortschreitenden natürlichen 
Immunisierung gegen das syphilitische Gift. 


— 35 — 

Deshalb wäre eine Beschleunigung dieses Prozesses durch 
die Anwendung künstlicher Mittel sehr willkommen. In 
neuester Zeit hat Metschnikoff aussichtsvolle Experimente über 
eine künstliche Immunisierung gegen Syphilis angestellt, die jeden- 
falls die Hoffnung nahe rücken, daß wir noch vor Ablauf des fünften 
Jahrhunderts ihrer europäischen Existenz die Syphilis, deren all- 
mähliches Abnehmen und Erlöschen schon Marx vor 70 Jahren 
prophezeite, vertilgt haben werden. Virchow, der ja einer der 
vorsichtigsten Naturforscher war, hat ebenfalls seine Ansicht 
dahin ausgesprochen, daß Syphilis und Mensch nicht un- 
trennbar sind und daß es gelingen werde, diese zwei Wesen, 
die so lange vereinigt waren, auseinander zu bringen. 
Nein, die Ausrottung der Syphilis ist ganz gewiß keine Utopie. 
Die Krankheit geht nur von Mensch zu Mensch, sie erzeugt sich 
nicht aus sich selbst, hat keinen selbständigen Produktionsherd, 
und deshalb muß und wird sie eines Tages verschwinden. 


Druck von Ant. Kämpfe in Jena. 


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VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA, 

Weitere Urteile der Presse über „Bloch, Ursprung der Syphilis". 

Monatshefte fttr praktische Dermatologie, Bd. XXXIV, 1902: 

Es ist sehr erfreulich, dass das medizinisch-historische Rätsel der großen 
S3rphilisepidemie vom Ende des 15. Jahrhunderts immer von neuem Historiker und 
Aerzte zu einem eingehenden Studium jener denkwürdigen Epoche veranlaßt. Das 
vorliegende Werk eines noch jungen , aber ungemein belesenen imd schaffensfreudigen 
Autors ist aber mehr als die Inangriffnahme und gelegentliche Bearbeitung eines an 
und für sich reizvollen und dankbaren medizinisch-historischen Themas. Es ist die 
allmählich zu einer Notwendigkeit gewordene, ernste Antwort auf die Behandlung der- 
selben Frage in dem 1895 erschienenen großen Werke von Proksch, Geschichte der 
venerischen Krankheiten. . . . Dieser Teil des Blochschen Werkes, welcher gleich- 
sam zum erstenmale die dunkle Kehrseite der Entdeckung Amerikas in eine grelle 
Beleuchtung rückt, ist nicht nur für jeden Historiker interessant und wertvoll, sondern 
für jeden denkenden Arzt und Hygieniker ein hochwichtiges Elapitel und sichert dem 
Werke allein den Dank aller, welche sich für die Geschichte, das Entstehen und Ver- 
gehen der Krankheiten interessieren. ... (Unna.) 

JonrnaL MMical de Broxelles, 23 Jan vier 1902, No. 4: 

ün beau livre , bien 6crit , bien pens6 , bäti avec m6thode et clart6 , et qui 
m6rite plus qu*une simple notice. Aussi ai-je cru bien faire, en en tirant les lignes 
qui vont suivre, d'en donner une image rMuite, aussi fid^le que possible. . . . Son 
livre ne s'adresse pas seulement au medecin, mais aussi ä l'historien, k Tethnographe ; 
c'est ime contribution k l'6tude de la civilisation humaine en meme temps qu'un 
chapitre pour l'histoire de la medecine. 

. . . Nous allons le suivre dans sa belle et savante description en cherchant 
ä serrer le texte du plus pr6s que nous le pourrons. (Bayet.) 

Deutsche Medizin. Wochenschrift, Nr. 51 vom 19. Dezember 1901 : 

, . . Der Verfasser geht mit der Genauigkeit und der Vorsicht eines Geschichts- 
forschers von Fach zu Werke. Keine Behauptung bleibt ohne Beleg , und alles, was 
von schriftlichen Belegen auf uns gekommen ist, wird mit sachlicher Kritik herange- 
zogen und je nach seinem inneren Gehalt verwertet. Dabei unterscheidet sich das 
Buch vorteilhaft von manchen wissenschaftlich-geschichtlichen Schriften durch seine 
Lesbarkeit. Nicht mit Unrecht hat man der deutschen Geschichtsschreibung oft genug 
vorgeworfen, bei aller Gelehrsamkeit, W^ahrheit und Tiefe sei sie vielfach so lang- 
weilig, daß das Durchlesen eines ihrer Werke von A bis Z eine Art Kasteiung dar- 
stelle. Das ist hier besser. Die klare Sprache, die gefällige Form und die Durch- 
mischung notwendig trockener Erörterungen mit interessanten Ciiaten und Beigaben 
machen das Buch lehrreich und angenehm zugleich. Die heutige medizinische Gene- 
ration hat nur geringe Hineigung zu der Geschichte ihrer Wissenschaft und deren An- 
wendung; alles strebt nach vorwärts und findet keine Zeit, zurückzuschauen auf die 
wilden und verworrenen Wege, die unsere Vorfahren erst durchkämpfen mußten, ehe 
wir die freie Luft um uns her und den freien Blick auf das Errungene zu genießen 
vermochten. Wer das Buch von Bloch gelesen hat, wird mit dem Referenten den 
Wunsch hegen, es möge die Aufmerksamkeit aller Mediziner finden, die sich noch 
ein wenig historischen Sinn bewahrt haben, und es möge diesen Sinn bei denen 
wecken, die ihn bis zur Erstarrung einschlafen ließen. (Binz.) 

Rivista Bibliografica: 

L*argomento ha inspirato al dott. Iwan Bloch un libro veramente 
interessante nel quäle si collegano e si intrecciano le cognizioni di me- 
dicina a quelle di storia, di geografia, di antropologia; un libro denso 
di indagini, ricco di notizie e di documenti, scritto con mirabile chia- 

1 w Z 2tf A* • • • 

Bolletino delle malattie yeneree etc. 1902, Nr. 1: 

E un' opera piena di erudizione, frutto di laboriose e diligenti ricerche, degna 
del piü alto interesse per gli Studiosi di sifilografia. . . . 

Fortsetzung" auf Seite 4 des Umschlags. 


/ 


VERLAG VON GUSTAV FISCHER IN JENA. 

Weitere Urteile der Presse über „Bloch, Ursprung der Syphilis." 

Berliner Kliiusche Wochenschrift Nr. 31 vom 4. Altgust 1902: 

Blochs Arbeit hebt sich weit über das Niveau derjenigen Schriften heraus, 
* welche bisher über diese specielie Frage veröffentlicht sind, und, gleichviel ob man 
sich zu seiner Ansicht bekennt, seinen Beweis als gelungen ansieht oder nicht — und 
an Hart- und Trotzköpfen , die, wie Ref. argumentieren : ubi "Venus, ibl Syphilis, also 
auch im Altertum schon Syphilis , wenn auch nicht beweisliräftig beschrieben , an- 
nehmen, wird es nach wie vor nicht fehlen — die Art, wie Bloch sein Problem er- 
faßt und behandelt hat, und das Ergebnis, zu dem er gelangt ist, wird und muß Auf- 
sehen errege^i und ist geeignet, wenn auch nicht ohne weiteres alle Anhänger des 
Dogmas von der AltertumssyJDhilis wankend zu machen , so doch die Diskussion von 
neuem zu entfachen, und in ein anderes Fahrwasser zu lenken, für die Bloch eine 
große, unübersehbare Reihe sehr wirksamer und bestehender Argumente ins Feld 
führt. Leider kann hier auf Einzelheiten nicht eingegangen werden, aber es muß im 
Interesse der Wahrheit und Objektivität betont werden, daß Bloch mit einer für 
einen jungen Forscher, wie er, besonders anerkennenswerten Gründlichkeit und 
kritischen Fähigkeit die in Betracht kommenden Quellen von neuem gemustert, 
die bisherigen Nächrichten geprüft, eine Reihe von Irrtümern berichtigt und als 
Parergon zugleich sehr interessante und ganz neue Mitteilungen über ältere Syphilis- 
forscher, Nomenklatur der Syphilis u. v. a. geliefert hat. Das allein stempelt Blochs 
Arbeit zu einer markanten und für die beregte Frage unbedingt zu einer bahnbrechenden, 
die nicht nörgelnde Rüge kleinerer Versehen , sondern als Ganzes Respekt verdient. 
Den negativen Teil, d. h. die Kritik der Lehre von der Altertumssyphilis, wird Bloch 
in einem besonderen Bande bringen. Blochs von der ersten bis zur letzten Zeile flotl, 
frisch, anregend und fesselnd geschriebenes Buch wird auch ohne unsere Empfehlung 
seinen schnellen Gang durch die Welt antreten ; denn die Syphilis ist eine Affekdon, 
um die man sich in der ganzen Welt kümmert, und die Frage, die Bloch behandelt 
und entschieden zu haben glaubt, interessiert, obwohl sie eine rein historische ist, auch 
sachlich mit Recht ungemein. (Pagel). 

Dermatologische Zeitschrift, Bd. VIII, Heft 6: 

. . . Mag man über diesen oder andere Einzelpunkte der Auffassung abwei- 
chender Meinung bleiben, so wird jeder Leser dieses Werkes von der umfassenden 
Gelehrsamkeit und der vorurteilslosen Kritik eine hohe Meinung davontragen. Ausge- 
stattet mit der gediegenen Kenntnis gesamter moderner Wissenschaft und geschult im 
Verständnis historischer Quellenforschung, bietet Bloch eine glänzende geschichtliche 
V Beleuchtung, fußend auf einer weit ausschauenden und mit jeder bemerkenswerten 
Einzelheit vertrauten kulturgeschichtlichen Untersuchung. Dabei keinerlei Abschweifung, 
sondern die Einheitlichkeit derjenigen Auffassung, welche die Beziehung der Syphilis 
zu dem Boden , auf welchen sie sich entwickeln konnte, scharf im Auge behält. Das 
Buch bildet eine willkommene Fundgrube für Lehrer und Studierende, für Aerzte und 
Forscher. Jedenfalls ein groß angelegtes Ergebnis historisch -geographisch-pathok^ischer 
Forschung, ruhend in medizinischer und allgemeiner Gelehrsamkeit, auf dessen weitere 
Fortsetzung wir mit Spannung* harren dürfen. (Lassar.) 

Auch die Historiker vom Fach sowie Privatdozent Dr. H. Oncken in 
„Historische Zeitschrift" 1902 und Dr. A. Tille in „Deutsche Geschichts- 

blätter" 1902, Heft 11/12, haben sich in der gleichen anerkennenden Weise über das 
obige Werk ausgesprochen. 


^NT. |<.AMPrS, ^UCHURUCKBRkil, jlitMA.